DG Coaching & Beratung
Journal für persönliche Entwicklung
Beziehungen trotz Schwierigkeiten erhalten?
Haben Sie sich schon einmal gefragt, was wahre Bereicherung in unserem Leben ausmacht? Oft sind es die Menschen um uns herum – Freunde, Bekannte, Kontakte und auch die, die uns nicht immer reibungslos erscheinen. Doch was passiert, wenn wir bei Meinungsverschiedenheiten oder einer Eigenheit, die uns stört, sofort den Schlussstrich ziehen? Wir leben in einer Zeit, in der die Versuchung groß ist, alles und jeden auszusortieren, der nicht unseren Idealvorstellungen entspricht. Ein Klick, und der Kontakt ist beendet. Doch bedeutet diese schnelle Distanzierung nicht auch einen großen Verlust?
5/2025 Von: D. V. Günter
→ DG Audio-Journal: Hier lese ich den Artikel vor (10 Min.)
Die Falle der sofortigen Distanzierung
Es ist verständlich, dass wir uns von Menschen angezogen fühlen, die uns ähnlich sind, deren Ansichten wir teilen und deren Verhalten uns angenehm ist. Doch das Leben ist selten ein homogener Brei aus Gleichgesinnten. Jeder Mensch trägt eine einzigartige Mischung aus Eigenschaften, Stärken und Schwächen in sich.
Wenn wir jedoch dazu neigen, bei jeder Irritation oder jedem Anderssein sofort oder bald darauf auf Distanz zu gehen, bauen wir unweigerlich Mauern um uns herum. Unser soziales Netzwerk schrumpft auf einen kleinen Kreis von Menschen, die uns vermeintlich passen oder sogar auf Null. Aber ist das wirklich ein Gewinn?
Die verborgenen Schätze in der Vielfalt
Ist es nicht vielmehr so, dass gerade in den Menschen, die uns zunächst vielleicht fremd oder sogar anstrengend erscheinen, oft unerwartete Stärken und wertvolle Eigenschaften verborgen liegen? Diese können sich in unerwarteten Situationen zeigen, Wochen oder Monate später, wenn wir ihre Unterstützung oder eine ganz neue Perspektive dringend benötigen.
Vielleicht hat uns jemand mit seiner direkten Art vor den Kopf gestoßen. Aber genau diese Direktheit kann in einer Krise unschätzbar wertvoll sein, wenn klare Worte und schnelles Handeln gefragt sind. Vielleicht hat uns die Unzuverlässigkeit eines Freundes gekränkt. Aber derselbe Mensch überrascht uns vielleicht mit einer unendlichen Großzügigkeit in schwierigen Zeiten.
Die Kunst der Frustrationstoleranz in Beziehungen
Ein wichtiger Schlüssel liegt in unserer Fähigkeit zur Frustrationstoleranz. Niemand, inklusive uns selbst, ist perfekt, und niemand wird immer so sein oder handeln, wie wir es uns wünschen. Zwischenmenschliche Beziehungen sind ein Tanz zwischen Nähe und Distanz, zwischen Harmonie und Reibung. Zwischen ähnlich und ganz anders sein.
Es erfordert Geduld und die Bereitschaft, über den eigenen Schatten zu springen und das große Ganze zu sehen. Können wir akzeptieren, dass ein Freund in manchen Dingen ganz anders tickt als wir? Können wir über kleinere oder auch größere Ärgernisse hinwegsehen, um die positiven Seiten einer Person nicht zu verpassen?
Die bittere Einsamkeit der Ausgrenzung
Wer jeden aussortiert, der nicht den eigenen Normen und Vorstellungen entspricht, riskiert am Ende eine leidvolle Art von Einsamkeit. Ein Leben ohne ein Netz an Kontakten oder Freundschaften kann hart und unbefriedigend sein. Wir verpassen die vielfältigen Perspektiven, die uns andere Menschen bieten können, die Freude an gemeinsamen Erlebnissen und die unschätzbare Unterstützung in schwierigen Zeiten.
Die Komplexität des Menschseins
Jeder Mensch ist eine komplexe Mischung aus Licht und Schatten, aus Stärken und Schwächen. Wir sollten nicht den Fehler machen, jemanden aufgrund einer einzigen Eigenschaft oder einer momentanen Irritation komplett abzustempeln. Es gilt, die Vielschichtigkeit und manchmal auch die Widersprüchlichkeit des menschlichen Wesens zu erkennen und wertzuschätzen.
Lassen Sie uns großzügig sein im Umgang mit unseren Mitmenschen. Geben wir Beziehungen eine Chance, sich über anfängliche oder auch immer wieder auftauchende Schwierigkeiten hinaus zu entwickeln. Denn oft liegt der größte Wert und das größte Wachstumspotenzial in den Verbindungen, die nicht auf perfekter Übereinstimmung basieren, sondern auf gegenseitiger Akzeptanz und der Erkenntnis, dass jeder Mensch – auch mit seinen Ecken und Kanten – eine Bereicherung für unser Leben sein kann.
Wenn der Spieß sich umdreht: Auch wir brauchen die Großzügigkeit der Anderen
Es ist essenziell, sich vor Augen zu führen, dass diese Bereitschaft zur Akzeptanz und Toleranz keine Einbahnstraße ist. Auch wir sind nicht frei von Fehlern, Eigenheiten oder Verhaltensweisen, die unseren Mitmenschen gelegentlich missfallen oder nicht in den Kram passen.
In solchen Momenten sind wir selbst darauf angewiesen, dass uns Großzügigkeit entgegengebracht wird. Wir hoffen darauf, dass unsere Freunde und Bekannten bereit sind, über das hinwegzusehen, was ihnen als unzulänglich erscheint, und uns nicht sofort abzustempeln oder gar aus ihrem Leben zu verbannen.
Wenn wir selbst dazu neigen, bei anderen schnell den Schlussstrich zu ziehen, schaffen wir ein Muster, das uns eines Tages selbst zum Verhängnis werden könnte. Denn niemand ist immun gegen Fehler oder Momente, in denen er nicht den Erwartungen anderer entspricht.
Die Fähigkeit, über Irritationen hinwegzusehen und Beziehungen auch durch schwierige Phasen hindurch zu pflegen, schafft ein Klima der gegenseitigen Akzeptanz und des Verständnisses. Es ist ein Geben und Nehmen, bei dem wir uns der Vielschichtigkeit und Veränderlichkeit des Menschseins bewusst sind und einander den Raum für Fehler und Entwicklung zugestehen.
Indem wir anderen die Großzügigkeit entgegenbringen, die wir uns selbst wünschen, schaffen wir ein stabileres und mitfühlenderes soziales Netzwerk, in dem Beziehungen nicht bei der ersten Meinungsverschiedenheit zerbrechen, sondern in dem Raum für Wachstum, Vergebung und tiefe Verbundenheit ist. Es ist die Erkenntnis, dass wir alle unvollkommen sind und gerade deshalb aufeinander angewiesen sind – auf die Stärke des Miteinanders, die über kurzfristige Irritationen hinausgeht.
Die Notwendigkeit von Grenzen: Wo Toleranz endet
Toleranz hat Grenzen, wenn eigene Grundwerte tief verletzt, Leib und Leben bedroht oder persönliche Grenzen ernsthaft überschritten werden. Dann ist Distanzierung und Abgrenzung wichtig und richtig, denn Selbstschutz hat Vorrang. Die Kunst ist, feinfühlig zu unterscheiden, wann Toleranz angebracht ist und wann Distanzierung zum Schutz des eigenen Wohlbefindens notwendig wird. Es gilt, die eigenen Bedürfnisse und das Bauchgefühl ernst zu nehmen und zu erkennen, wann eine Beziehung schädlich wird. Die bewusste Entscheidung zur Distanzierung ist dann ein Akt der Selbstliebe.
Die Brücke der Kommunikation: Beziehungen aktiv gestalten
Ein Schlüssel, um Beziehungen nicht bei jeder Herausforderung aufzugeben, liegt in unserer Kommunikationsfähigkeit. Das Gefühl, durch offene und ehrliche Gespräche Einfluss auf die Beziehungsgestaltung nehmen zu können, ist entscheidend. Anstatt darauf zu hoffen, dass andere, neue Menschen perfekt zu uns passen, ermöglicht es uns die Kommunikation, unsere Bedürfnisse und Veränderungswünsche zu äußern und gemeinsam an einem besseren Miteinander bestehender Beziehungen zu arbeiten. Sie ist die Brücke, die es uns erlaubt, Unterschiede zu überwinden und Beziehungen aktiv zu formen, anstatt uns passiv von ihnen zu distanzieren.
Autorin: Daniela V. Günter, Integrative Psychologische Beraterin (tiefenpsychologisch or.), Systemische Personal & Business Coach, Trainerin für Kommunikation und Konfliktlösung. Selbstständig in eigener Praxis in Berlin und Online | www.daniela-guenter-coaching.com | Journalistin.